Montag, 17. April 2000

Boston 2000 - Geburtstagsnachfeier auf der Gralsburg neuzeitlicher Marathons

Nach einem fulminanten Finale im Zielbereich des Boston Marathons im Jahr 2000
Der Boston Marathon wird traditionell am "Patriot's Day" des Staates Massachusetts  ausgetragen, der auf dem 3. Montag des Monats April liegt. Im Jahr 2000 fällt der Marathontermin in die Osterferien. Da wir im Jahr 2000 unseren 100. Geburtstag feiern (2x50), betrachten wir das gemeinsame Lauferlebnis einer Teilnahme am Boston Marathon als ein dem Anlaß unseres Geburtstages angemessenes, würdiges Event. Der Termin passt darüber hinaus gut in meine Vorbereitungen zum 75. Comrades in Südafrika, mit dem ich im Juni mein Geburtstagsgeschenk an mich selbst einlösen möchte. Bis dahin ist der Weg noch weit und die Veranstaltung in Boston ist eine Etappe dieses Weges.

Informationen zum Boston Marathon
Der Boston Marathon wird seit dem Jahr 1897 ohne Unterbrechung ausgetragen und ist als der älteste und traditionsreichste aller kontinuierlich stattfindenden Marathonläufe der Klassiker schlechthin, um den sich viele Mythen ranken. Die Strecke ist ein Punkt-zu-Punkt-Kurs mit Start in dem kleinen Städtchen Hopkinton und Ziel in Boston. Wegen des welligen Profils und der unberechenbaren Wetterbedingungen ist der Kurs von vielen Läufern gefürchtet. Absolute Top-Zeiten werden auf diesem Kurs nicht erzielt. Trotzdem hat die Veranstaltung den Charakters eines Elitelaufs, für den sich die Teilnehmer qualifizieren müssen. Eine Veranstaltung dieser Güte kann sich offenbar eine elitäre Haltung erlauben und steigert damit nicht nur bei uns die Begehrlichkeit einer Teilnahme. Das Teilnehmerfeld liegt seit einigen Jahren oberhalb von 20.000 Starten. In der Regel ist die Veranstaltung frühzeitig ausgebucht (im Jahr 2010 nur wenige Stunden nach Eröffnung der Online-Registrierung). Neben London, Berlin, Chicago und New York zählt der Boston Marathon zu der im Jahr 2006 etablierten Serie der "World Marathon Majors".

Rückblick 
Nach einer seriösen Vorbereitungen reisen wir einige Tage früher an, um uns an die Zeitumstellung  anzupassen und Boston zu erkunden. Die Stadt gefällt uns und lohnt den Besuch. Für unsere morgendlichen Lockerungsläufe können wir die hübsche Grünanlage des Public Gardens nutzen. An einer der angrenzenden Straßen liegt das "Cafe de Paris", bei dem es sich  um einen typischen Coffeeshops handelt. Hier nehmen wir nach dem Morgenlauf unser Frühstück ein. Die Südseite des Public Gardens grenzt die Boylston Street ein, auf der sich das Ziel befinden wird. Nach dem Frühstück werfen wir noch einen Blick auf die gerade entstehende Zielinfrastruktur.


Das Marathonfieber setzt spätestens mit der Expo ein, auf der wir unsere Startunterlagen abholen. Der Bedeutung der Veranstaltung angemessen, sind auf der Expo Delegation aus der ganzen Welt vertreten, um dort für ihre eigenen Laufveranstaltungen zu werben. Besonders stark belagert ist der Stand eines Ausrüsters. Wir erkennen Bill Rodgers, mit jeweils 4 Siegen in Boston und New York in den siebziger Jahren und mit 22 Marathonsiegen insgesamt die amerikanische Lauflegende schlechthin. Der amerikanische Boykott der Olympiade von Moskau hat Bill Rodgers 1980 auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit die Chance verwehrt, seine Laufkarriere mit einem Olympiasieg zu krönen. Dumm gelaufen für Bill Rodgers. Heute betätigt sich der sehr sympathische und äußerst populäre Läufer als Ausrüster für Läufer und betreibt einen Laufshop in Boston.

Am Sonntag regnet es. Das Wetter hält uns nicht von der Teilnahme an dem traditionellen Gruppenlauf durch die Innenstadt von Boston ab. Die Teilnehmer sammeln sich an der City Hall, wo zunächst einige Begrüßungsworte gesprochen werden, ehe es über ca. 5 km  ohne Zeitnahme durch die Innenstadt bis zum Zielbereich geht. Dort werden Frühstückbags ausgegeben, die uns jedoch nicht interessieren. Wir ziehen das Cafe de Paris vor.


 
Die als "Pre-Race Diner" deklarierte Pasta Party findet in einem großen Zelt statt, das im Zentrum von Boston in der Nähe der Town Hall beim Faneuil Hall Marketplace aufgebaut ist. Leider ist die Kapazität des Zeltes relativ beschränkt, so dass wir eine längere Wartezeit bis zum Einlass in Kauf nehmen müssen. In der Wartezeit werden wir mit Werbeartikeln einiger Sponsoren versorgt.
 



Das Event ist sehr stimmungsvoll organisiert und bietet ein würdiges kulinarisches Angebot, das für uns zum Besten dieser Art zählt. Kaum haben wir einen Platz im Zelt erobert, müssen wir den Appellen an die Läufer trotzen, doch bitte den Platz möglichst bald für die noch wartenden Läufer zu räumen. Trotz Party-Atmosphäre will unter diesen Bedingungen bei uns keine rechte Party-Stimmung aufkommen. Ein Foto gehört dazu, egal wie bescheuert wir aussehen.



Auf dem Weg zum Start
Am Morgen müssen wir uns frühzeitig an einem Sammelpunkt einfinden, an dem Schulbusse bereitstehen, um die Teilnehmer zum Start nach Hopkinton zu transportieren. Wir zählen selbstverständlich zu den Ersten und sitzen daher auch im ersten Bus, der die Läufer nach Hopkinton transportiert. In der Reihe hinter uns sitzen zwei Läufer, die sich über ihre Erfahrungen der Marathonläufe in den USA austauschen. Höchstes Lob erfährt der Chicago Marathon. Gut zu hören, der Lauf ist vorgemerkt.

Hopkinton ist eine hübsche, aber auch verschlafene Kleinstadt, in der alljährlich anlässlich des Marathons ein Ausnahmezustand herrscht. Stunden vor dem Start bilden wir die Vorhut der nach und nach  eintreffenden Läuferarmee. Die Läufer können sich in mehreren großen Zelten aufhalten, in denen auch kalte und warme Getränke sowie einige Snacks angeboten werden. Als wir eintreffen laufen noch die Vorbereitungen der Helfer. Wir suchen uns ein Eckchen, in dem wir die Wartezeit zubringen können, merken aber schnell, dass es trotz des Zeltes sehr kalt ist. Mit Hilfe einiger Plastikfolien und Zeitungen bauen wir uns ein Nest, in dem es sich so gerade noch aushalten lässt. Später eintreffende Läufer haben das Nachsehen. Sie finden keinen Platz mehr in den Zelten. Neben uns lagern zwei Männer aus Gladbeck im Ruhrgebiet, mit denen eine nette Unterhaltung in Gang kommt.

Rechtzeitig vor dem Start werden die Läufer aufgefordert, die Sammelräume zu verlassen und sich in ihre Startpositionen zu begegeben. Die Elite postiert sich auf der Main Street, die in östlicher Richtung nach Boston führt. Als langsame Läufer dürfen wir zunächst den Bus suchen, an dem wir unsere Kleiderbeutel abgegen und später im Zielbereich wieder abholen. Die Beschriftung als "ABC Bus" gefällt uns.
Unser Startblock befindet sich in einer Nebenstraße. Durchgefroren und versteift können wir uns zunächst kaum vorstellen, gleich Marathon zu laufen. Das langsame Vorrücken in Richtung Start und die wärmende Menschenmasse lassen uns etwas auftauen.


Der Lauf
Die Unruhe im Feld macht deutlich, dass es losgeht. Der Startschuss fällt einige Straßen und Ecken weiter vorn und ist in unserem Block nicht wahrzunehmen. Wir rücken jedenfalls kontinuierlich vor, befinden uns nach einigen Minuten auf der Main Street und sehen dann auch die Aufbauten an der Startlinie. Nach 9 Minuten erreichen wir die Startlinie, setzen unsere Stoppuhr in Gang und traben langsam los.

Einige markante Punkte und das Profil der Strecke haben wir uns eingeprägt. Auf den ersten 6 km geht es bis Ashland überwiegend bergab. Um sich die Kräfte gut einzuteilen, darf man hier nicht zu schnell angehen, was mit dem hohen Adrenalinspiegel sowie im Sog des Läuferfeldes nur allzu leicht passiert. Unsere steifen Gelenke und die kalte Muskulatur entfalten eine ausreichende Bremswirkung. Eine gleichmäßige Tempogestaltung und die Tempkontrolle fallen schwer, weil ab Ashland bis etwa 7 km vor dem Ziel Welle auf Welle folgt. Die Strecke führt durch einige kleine Ortschaften, in denen sich laufbegeisterte Zuschauer an der Strecke befinden. Zwischen den Ortschaften laufen wir überwiegend durch Wald- und Parklandschaften mit wenig Publikum. Als Läufer, die eher Landschaftsläufe bevorzugen, kommen uns die ruhigen Anschnitte durchaus recht. 

Berühmt und als "Heartbreak Hill" gefürchtet, ist 7-8 km vor dem Ziel der Chestnut Hill bei der Ortschaft Newton. In diesem Distanzbereich befinden sich viele Läufer in einer Krise, und der ausgeprägte Hügel kann dann schnell zu einem Scharfrichter werden, der über Sieg oder Niederlage entscheidet. Wir haben uns jedoch klug eingeteilt und kommen gut über den Hügel. Ab hier geht es bis zum Ziel leicht bergab, und wer noch einige Körner aufgehoben hat, kann es jetzt locker rollen lassen oder auch noch einmal angreifen. Wir verspüren Angriffslust und steigern kontinuierlich unser Tempo. Wir laufen jetzt auf der Überholspur an Hundertschaften ermüdeter Läufer vorbei und steigern uns in das "Runner's High", das sich leider nur selten einstellt.

Das Ziel ist erst spät zu sehen, weil wir Richtung Innenstadt auf einer Straße laufen, die parallel zur Zielstraße verläuft. Erst wenige Hundert Meter vor dem Ziel wechseln wir die Straße und sehen nach einer letzten Rechts-Links-Kurve endlich das Ziel nicht mehr weit vor uns. Eine ohrenbetäubende Lärmkulisse empfängt uns. Zuschauer stehen dicht gedrängt und treiben die Läufer an. Das Ziel vor Augen ziehen wir noch einmal an und laufen mit dem uns möglichen Maximaltempo über die Ziellinie. Geschafft! Wir sind stolz und verspüren Glücksgefühle. Ein großartiges Lauferlebnis liegt hinter uns, dem wir in jeder Hinsicht unsere Höchstnote geben. Well done! Thank you, Boston!







Ergebnis
Als "Veteranen" (offizielle Bezeichnung unserer Altersklasse in den USA) sind wir mit unserer Zeit von 3:43:33 Std. zufrieden. Der Respekt vor der Strecke und unsere wegen der Kälte versteiften Glieder haben uns die erste Hälfte verbummeln lassen. Auf der zweiten Hälfte sind wir immer besser ins Rollen gekommen und haben viele Plätze aufgeholt, ohne uns völlig zu verausgaben. In der Gesamtplatzierung liegen wir mit Platz 9.816 und 9.819 im hinteren Mittelfeld der 15.680 Finisher.
In Boston konnten wir den 28. bzw. 37. Marathon erfolgreich finishen. Unsere kleine private Nachfeier verlegen wir in das Toprestaurant Ambrosia. Hier ist vornehmer Dresscode angesagt, was wir für die  ausgezeichnete Qualität der Küche und das edle Ambiente gerne akzeptieren. Die heute erlaufene Medaille tragen wir selbstverständlich als Schmuck. (Das ehemals als Spitzenrestaurant ausgewiesene Ambrosia existiert inzwischen nicht mehr.)

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